5. Symphonie "Symphonie concertante"
Das kompositorische Schaffen Karl Amadeus Hartmanns, insbesondere die
Entstehung seines symphonischen OEuvres, ist untrennbar mit der Machtübernahme
der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland verwoben. Vom
neuen diktatorischen Regime in die innere Emigration getrieben, blieb der
1905 in München geborene Komponist in seinem Heimatland bis Kriegsende
unaufgeführt und todgeschwiegen: Seine Kompositionen – nur einige wenige
gelangten im Ausland zur Aufführung, etwa die symphonische Dichtung
Miserae 1935 in Prag und das 1. Streichquartett 1938 in London – waren in
Deutschland zu einer stummen Existenz verdammt. Dabei handelte es sich
hier um eine Musik als sprachmächtiger Widerstand und antifaschistisches
Bekenntnis zu Humanität und Freiheit, wie die Antikriegsoper Simplicius
Simplicissimus von 1934/35. Darüber hinaus untermauern in einigen Werken
auch musikalische Zitate jüdischer Melodievorlagen unmissverständlich
Hartmanns politischen Standpunkt.
Als gravierenden Einschnitt mit weitreichenden Folgen empfand Hartmann
den politischen Machtwechsel schon 1933, wie seine Autobiographische Skizze
von 1955 belegt: »In diesem Jahr erkannte ich, dass es notwendig sei, ein Bekenntnis
abzulegen, nicht aus Verzweiflung und Angst vor jener Macht, sondern
als Gegenaktion. Ich sagte mir, dass die Freiheit siegt, auch dann,wenn
wir vernichtet werden – das glaubte ich jedenfalls damals. Ich schrieb in
dieser Zeit mein 1. Streichquartett, das Poème symphonique »Miserae« und meine
1. Symphonie mit den Worten von Walt Whitman: ›Ich sitze und schaue aus auf
alle Plagen der Welt und auf alle Bedrängnis und Schmach…‹«.
Hatte Hartmann zwischen 1933 und 1945 im wesentlichen für die »Schublade«
komponiert ohne Aussicht auf Veröffentlichung, so stand nach dem Zusammenbruch
des Dritten Reichs einer Aufführung seiner größten Teils unaufgeführten
Werke nichts im Wege, zumal Hartmann mit der von ihm nach
dem Krieg in seiner Heimatstadt gegründeten Konzertreihe für zeitgenössische
Musik musica viva ein aufgeschlossenes Forum zur Verfügung stand.
Doch der Komponist wählte stattdessen zunächst den Weg der selbstkritischenÜberarbeitung. Er unterzog seine in der «inneren Emigration« als »Bekenntnis« entstandenen Werke in den nächsten Jahren einer strengen
Revision: Bis 1953 erschienen dann endlich die Symphonien Nr. 3 bis 6 [an völlig
neuen Werken entstanden nach dem Krieg zunächst nur die 2. Symphonie
[1946] und das 2. Streichquartett [1945/46]]. Als sensibler Künstler spürte Hartmann,
dass seinem Schaffen mit dem Wegfall des Nazi-Regimes der unmittelbare
Anlass der Anklage fehlte, »dass seinem Werk mit dem Tilgen des
Gegenübers, dem der Protest galt, gewissermaßen der Boden entschwunden
war« [Helmut Hell]. Ulrich Dibelius spricht im Zuge dieser skrupulösen
Redaktionsarbeit von der »Eliminierung von lediglich Aktualitätsgebundenem
oder weniger Gelungenem« zugunsten einer »Erhöhung und Intensivierung
des Gehalts an verantworteter Emotion und Wahrhaftigkeit«. Das
Wechselspiel seines Komponierens unter Zwang oder in Freiheit hatte bei
Hartmann unmittelbare künstlerische Konsequenzen gezeigt. Nun suchte
der Komponist die vor 1945 geschriebenen Werke durch Umarbeitung auf
eine allgemeingültigere, zeitlose Basis zu stellen und unter den neuen Bedingungen
aufführungsfähig zu machen. So erklärt sich, dass einige Kompositionen
von ihrer Urfassung bis zur endgültigen Gestalt einen zeitlich weitgespannten
Entstehungsprozess durchliefen.
Dies ist auch bei Hartmanns 5. Symphonie von 1950 der Fall.Sie begann 1932 als
Konzert und lässt über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren eine »Tendenz
zur Symphonisierung« [Hanns-Werner Heister] erkennen. Am Ende dieser
Entwicklung steht die Symphonie mit dem Haupttitel Symphonie concertante,
besetzt mit doppelten Holz- und Blechbläsern [Flöten einschließlich Piccolo,
Oboen, Klarinetten, Fagotte, Trompeten und Posaunen; Tuba und Kontrafagott
hingegen einfach] sowie Violoncelli und Kontrabässen. Seinen Anfang
nahm das Werk aber als Concerto für Solo-Trompete und Bläser-Kammerorchester
[1932/33],dessen kammermusikalischer Begleitapparat aus nur einfach besetzten
Bläsern bestand: Klarinette, Bassklarinette, Fagott, Kontrafagott, Trompete,
Horn, Posaune und Tuba. Am 12. August 1933 wurde dieses Trompetenkonzert
in Strassburg unter der Leitung von Ernst Klug aufgeführt. 1939 trat es
dann,ergänzt um eine zweite Trompete,unter der Bezeichnung Concertino auf
und erlebte 1948/49 eine Revision als Konzert für Bläserensemble, Kontrabässe
und zwei Solo-Trompeten, bei dem das Instrumentarium um ein zweites Fagott
und drei Kontrabässe erweitert und die Bassklarinette durch eine zweite
Klarinette ersetzt wurde. Die Entwicklung vom Solokonzert hin zu einem
Ensemblekonzert spiegelt sich sinnfällig in der neuen Funktion der Solo-Trompete: Sie verliert ihre ehemals exponierte Stellung und wandert von der
obersten Position innerhalb der Partituranordnung nach unten zur anderen
Trompete in den Begleitapparat. In diesem Zwischenstadium – das Horn war
inzwischen durch eine weitere Posaune ersetzt worden – gelangte das Werk
am 2.November 1949 zur Uraufführung in Zürich durch Hartmanns Mentor
Hermann Scherchen. Auf dem Weg zur Endgestalt als 5. Symphonie schließlich,
die vom Süddeutschen Rundfunk Stuttgart in Auftrag gegeben wurde,
erweiterte Hartmann seine Partitur 1950 noch um doppelte Flöten und Oboen
sowie um Violoncelli: Das Orchester besaß nun fast symphonischen Zuschnitt.
Nach der Uraufführung am 21.April 1951 im Süddeutschen Rundfunk
Stuttgart [Dirigent Hans Müller-Kray] erschien das Werk 1952 im Druck, die
drei Sätze erhielten die Titel Toccata, Melodie und Rondo. Eine Aufführungs-
Serie an anderen Musikzentren schloss sich bald an.
Folgt man der Entstehungschronologie vom 1932 begonnenen Trompetenkonzert
bis zur symphonischen Endfassung aus dem Jahr 1950, so ist die 5.
Symphonie das früheste Werk in Hartmanns symphonischem OEuvre. »Warum
gerade dieses Konzertwerk nach knapp zwanzig Jahren als 5. Symphonie
bearbeitet wurde [immerhin nach der Dritten und vor der Sechsten…], lässt
sich nicht aus dem vorhandenen Material, etwa entsprechender Briefe, ersehen«, gibt der Hartmann-Forscher Andreas Jaschinski zu bedenken. »Zu
vermuten ist,dass Hartmann im Moment des Konzertanten ein Korrektiv für
seine expressive Orchestersprache suchte und dieses in der Fünften kristallisieren
wollte.« Des Weiteren resümiert Jaschinski: »Es ist wichtig darauf hinzuweisen,
dass bis auf wenige Ausnahmen [etwa die Kadenzen im letzten Satz]
die Faktur und der formale Verlauf der Urfassung als Concerto für Solo-
Trompete und Bläser-Kammerorchester [1933] völlig unangetastet blieb. Die einzelnen
Umarbeitungen befassen sich fast ausschließlich mit einer volleren
Instrumentierung und der Ergänzung von kontrapunktischen Stimmen.«
So verbergen sich hinter den verschiedenen Partiturstadien und Titeln der
Fünften eine gleichbleibende musikalische Textsubstanz und dasselbe konzertante
Konzept, allerdings in verschiedenen Klangkolorierungen. Auch
einzelne Gestaltungselemente, wie die vom Neoklassizismus inspirierte
barocke Kontrastierung einzelner Instrumentengruppen, wurden in allen
Fassungen beibehalten.
Auffallend ist Hartmanns Gewichtung der Bläser,der Komponist selbst hatte
an der Akademie der Tonkunst in München von 1924–29 Posaune studiert.
Mit dem Verzicht auf Violinen, Violen, Hörner und Schlagzeug nahm er
bewusst Abstand von einer Mischung der Klangfarben und erhielt so ein bläserbetontes
Klangbild [samt tiefer Streicher] von bestechender Transparenz.
Bereits der Werktitel Symphonie concertante,dem Modell des 18. Jahrhunderts
folgend, verweist auf das Kompositionsprinzip des Konzertierens und auf
neoklassizistische bzw. neobarocke, von Spielfreude bestimmte Tendenzen
der 1920er Jahre.Dem dynamischen Treiben dieser Zeit hatte sich Hartmann
einst mit kammermusikalischen Werken verschrieben – »Futurismus,Dada,
Jazz und anderes verschmolz ich unbekümmert in einer Reihe von Kompositionen« – und war einem Freund in Erinnerung geblieben als »enfant terrible,
das sich in Burlesken und Persiflagen austobte«.Was Hartmann von der
Musik der 1920er Jahre in seiner Fünften wieder aufgriff,war neben barocken Formen wie Concerto und Concerto grosso vor allem auch der durchgängige
Bewegungsimpuls der Barockmusik. So bedeutet die Fünfte »vielleicht die
weitest gehende Annäherung Hartmanns an neoklassizistisch-neobarocke
Positionen, ohne dass er sich diesen damit verschrieben hätte« [ Hanns-
Werner Heister]
Anders als in seinen anderen sieben bekenntnishaft-expressiven Symphonien,
zwischen 1932 und 1962 komponiert,dominieren in Hartmanns Fünfter
musikantischer Geist, virtuose Unterhaltung und Spieltemperament. Ungewöhnlich
humorvoll und prägnant ist die Partitur,die mit rund 20-minütiger
Aufführungsdauer ausgesprochen konzentriert und kurz ausfällt. Die Bläsersolisten
geben sich hier gewitzt und burschikos,aufmüpfig und forsch,wobei
ihr hemdsärmelig-vitales, motorisch geprägtes Spiel auch gefolgt wird von
durchaus lyrischen und intimen filigranen Momenten.
Die Toccata präsentiert sich vibrierend und kraftvoll im lebhaften 3/8-Rhythmus. »Der erste Satz gliedert sich in drei Abschnitte im dreiteiligen Toccata-
Stil,wobei der Mittelteil einen agogischen wie auch thematischen Kontrast zu
den miteinander verwandten flankierenden Abschnitten bietet« [Andrew D.
McCredie].Dominiert von den beiden konzertierenden Trompeten,ist dieser
rhythmisch prägnante Satz »dem motorisch sich fortzeugenden Neobarock-
Typus« [Ulrich Dibelius] verpflichtet und erinnert an die Fortspinnungstechnik
barocker Musik.
Die Melodiedes rhapsodischen langsamen Mittelsatzes wird zunächst von der
Solo-Klarinette vorgestellt und dann von der gedämpften Posaune und vom
ersten Fagott weitergesponnen.Als »Hommage à Strawinsky« ist dieser kantable
Satz gemeint, der mit seiner Melodie das Eingangsthema des Sacre du
Printemps paraphrasiert, wobei allerdings »zwischen Huldigung und Persiflage« [Ulrich Dibelius] keineswegs trennscharf zu unterscheiden ist.
Unterbrochen wird der improvisatorische Satz von einem kurzen, vorüberhuschenden
Scherzo [sehr lebhaft] voller humorvoller parodistischer Züge mitsamt
einer virtuosen Trompetenpartie.
Im abschließenden Finale – Rondo [lustig – sehr lebhaft] – ist die Musik von
munterer Ausgelassenheit und grenzt mit quirliger Überdrehtheit mitunter
ans Groteske. In einer rezitativartigen Kadenz liefern sich Flöte, Trompete
und Oboe einen erfrischenden chlagabtausch,bevor das Werk in eine turbulente
Coda mündet und dann zu einem plötzlichen, unerwarteten Schluss
gelangt.
Susanne Schmerda,
(Prrgrammheft muscia viva)