Pressestimmen "Schwarz auf Weiß"
„Schwarz auf Weiß“: Der Tod eines Dichters
Schwere Kost stand zu erwarten beim Ensemble Modern im Prinzregententheater. Die Ankündigungen zu Heiner Goebbels Musiktheater „Schwarz auf Weiß“ lesen sich mühsam – wie, fragt man sich bang, wird das erst klingen?
Aber wer wagt, wird überrascht. „Schwarz auf Weiß“ ist ein höchst unterhaltsames Bühnenstück, das ohne Pathos, aber mit viel Wärme vom Werden und Vergehen erzählt. Der Tod des Dichters Heiner Müller war Anlass für Goebbels Komposition. Müllers Stimme, vom Band zugespielt bei der Lesung von Edgar Allen Poes „Schatten“, wirkte als roter Faden in einem freien Klangspiel, das sich kaleidoskopartig immer wieder neu zusammensetzt. Außer an ihren Instrumenten erlebt man die Musiker des Ensemble Modern singend, Wasser kochend, würfelnd. Meist ereignet sich auf der Bühne Verschiedenes, gleichzeitig. Und fast zufällig findet dabei immer wieder ein neues Alltagsgeräusch Eingang in den kunstvollen Gesamtklang des Anends – so kommen Würfelklacken und virtuoses Orchesterspiel urdemokratisch zusammen. Ein steter, unerbittlich, rhythmischer Drive des Schlagzeugs verkörpert den Puls der zeit – und sorgt für einen mitreißend jazzigen Groove. Begeisterter, verdienter Applaus für Ensemble und Komponisten.
(tz vom 3.7.06 – H.J.)
Verausgabung zwischen Leben und Tod
Heiner Goebbels präsentiert einen grandiosen musikdramatischen Ansatz bei Festspiel+
Obwohl man das Stück „Schwarz auf Weiß“ bekommt, kann man es wohl nicht getrost nach Hause tragen. Heiner Goebbels, ein Querschläger mit Erfolgspatent in der Szene der Neuen Musik und vor allem des Musiktheaters, hat das Werk 1996 mit den Musikern des Ensembles Modern erarbeitet. Es wurde ein Renner, und das durchaus zu Recht. Es kommt ohne Protagonisten aus, oder besser: Die Musiker selbst werden zu Protagonisten. Sie sitzen auf der Bühne, tragen die Chimären inhaltlicher Bezüge, müssen agieren und sprechen und werden nicht zuletzt auch auf ihren Instrumenten und ihnen weniger vertrauten Klangquellen aufs Höchste gefordert. In diesem Sinne ist das Stück eine Verausgabung, das sich im Schattenreich zwischen Leben und Tod bewegt. Die Stimme von Heiner Müller dringt dazwischen („Es ist für mich eine Art Abschied von Heiner Müller“, sagt Goebbels), Texte von Poe, von John Webster, T.S. Elliot und von Maurice Blanchot kreisen um Tod, Vergessen und Bewahren. Das sitzt und bohrt tief: Neues Musiktheater an den Wurzeln gepackt, nachdrücklich. Nichts hat hier die Basis eines abwickelnden Apparates, alles schwebt im Unsicheren.
Diesen grandiosen musikdramatischen Ansatz stellt an diesem Samstag um 20.00 Uhr im Prinzregentheater die den Opernfestspielen assoziierte Reihe Festspiel+ vor. Wer wissen will, wie es weitergehen könnte, kommt daran nicht vorbei.
(Südd. Zeitung 1.7.2006 – Reinhard Schulz)
Den Blick aufs Theater völlig auf den Kopf stellen
Festspiel+ und musica viva: Interview mit Heiner Goebbels
Bei Heiner Goebbels' Werk „Schwarz auf Weiß“ kommen die Musiker groß heraus: Ohne jegliche Konkurrenz beherrschen sie und ihre Instrumente die Bühne. Im Rahmen von Festspiel+ und musica viva präsentieren der Komponist und das Ensemble Modern das Stück morgen im Münchner Prinzregentheater.
Sie bezeichnen „Schwarz auf Weiß“ als „Musiktheater“, doch es treten keine Sänger auf.
HG: Man wird aber viele Stimmen hören, auch wenn die nicht immer singen. Es ist gerade das Spektrum vom gesprochenen, gerufenen Wort bis zum Gesang, das mich interessiert.
Wer artikuliert sich auf der Bühne?
HG: Es sind die Musiker selbst. Darüber hinaus hört das Publikum auch die Stimme von Heiner Müller und – ebenfalls vom Band – jüdische Kantoren mit liturgischem Material.
Was bedeutet der Titel „Schwarz auf Weiß“?
HG: Er steht natürlich in Bezug zur Geschichte. Denn ein Schatten erscheint uns ja auch Schwarz auf Weiß. Er steht aber auch für die Schrift und – wie im Poe-Text – für das Gedenken an die Toten. Das ist die Klammer, die diese Arbeit mit Heiner Müller verbindet. Ich habe mit ihm viel zusammengearbeitet. Während der Proben an diesem Stück habe ich von seinem Tod erfahren und diese Aufnahmen integriert. So lebt seine Stimme in dem Stück weiter; es wird deshalb oft als Requiem bezeichnet, auch wenn es durchaus leichte, unterhaltende Elemente hat.
Wer bewegt sich denn auf der Bühne?
HG: Die Musiker sind die Protagonisten. Es gibt weder Sänger noch Schauspieler. Die Hervorbringung der Musik ist das eigentlich Dramatische. Die Vorbereitung der Instrumente, auch ausgefallener, japanischer, wird sichtbar. Das alles geht weit über das hinaus, was Musiker ansonsten im Konzert machen dürfen. Der Zuschauer wird sich in den 85 Minuten, in denen das Ensemble das Geschehen strukturiert, nicht langweilen.
Streift das auch Rituelles, vielleicht aus Improvisatorisches?
HG: Es hat rituelle Momente. Improvisationen gibt es auch, aber die Vereinbarungen über Zeit, Ort und Ausdruck sind sehr präzise.
Gibt es ein Bühnenbild?
HG: Das Licht und die Bühne sind wichtige Darsteller, spielen eine Hauptrolle. Jean Kalman hat dafür einen schönen Raum gebaut, der sich ständig verändert.
Läuft eine Handlung ab, an die sich der Zuschauer halten kann, oder muss er assoziieren?
HG: Er darf – er muss nicht. Es gibt viele Handlungen, denen die Zuschauer folgen können. Sie verweisen nicht auf etwas außerhalb des Theaters, sondern nehmen den Bühnenraum selbst und das Geschehen dort sehr ernst. Ich halte es nämlich mit Heiner Müllers Devise, dass das Theater nicht nur dazu da ist, Mitteilungen über die Wirklichkeit zu machen, sondern selbst eine eigene Wirklichkeit darstellt.
„Schwarz auf Weiß“ entstand vor zehn Jahren und wurde häufig aufgeführt.
HG: Bislang existiert es nur in meiner Inszenierung mit dem Ensemble Modern: Wir haben das Stück 60 bis 70 Mal gespielt, von Moskau bis New York, von Australien bis Edinburg.
Wagt sich sonst niemand an eine Neuinszenierung?
HG: ich kann mir eine andere Inszenierung sehr gut vorstellen, aber es herrscht ein gewisser Respekt vor unserer Fassung. Dennoch gibt es Pläne. Man darf allerdings nicht vergessen, dass dieses Musiktheater die Rolle eines Ensembles und den Blick auf das Theater grundsätzlich auf den Kopf stellt. Die Realisierung braucht ideale Bedingungen. Somit wird es an einem normalen deutschen Stadttheater wohl frühestens in 20 Jahren möglich sein.
(Münchner Merkur 30.6.2006, Das Gespräch führte Gabriele Luster)
Szenisch und frisch
Konzert ist das falsche Wort. Es geht um szenische Aktionen, verteilt auf musikalische, choreografische, strukturelle Elemente, die ohne linearen Handlungszusammenhang anhand von Assoziationen und Bildern verknüpft werden. Obwohl die Form begrenzt ist, vermittelt sie Offenheit, indem sie Deutungsmuster anbietet, aber nicht normativ vorschreibt.
Wer will, kann den musica-viva- und Festspiel+-Abend „Schwarz auf Weiß“ im Prinzregententheater als Nekrolog auf Heiner Müller verstehen, der als Rezitator eines Poe-Textes aus dem Off eingespielt wird. Weitere Lesarten bieten sich an: die des lustvollen Kunstvollzugs im Kontrast zu hormonentleerter Neuer Musik; die des Stilsammelsuriums, das mal Splitter vom Prog-Rock über Big Band Jazz und Balkan Brass bis hin zu avantgardesker Kopfmusik und sogar Anspielungen auf die visionäre der Moderne der futuristischen Zwanziger unter einem Dach vereint; die der theaterimmanenten ästhetischen Diskussion, die den Bühnenraum der Akteure nach allen Seiten öffnet; oder die von Heiner Goebbels selbst, der sein „Musiktheater“ als Parabel auf die (Klang-)Prozesse des kreativen Schreibens konzipiert hat.
Faszinierend sind die Vieldeutigkeit des Materials und die Präsenz des Ensemble Moderns, für das „Schwarz auf Weiß“ geschrieben wurde. Es hat das Stück seit der Uraufführung vor einem Jahrzehnt so oft gespielt, dass es mit Humor an die Umsetzung herangehen kann. Es genießt die improvisatorischen Elemente von Tennisballperkussion bis Saxofongequietsche sowie die Lakonik eines albernen Geigenballets oder zusammenbrechender Kulissen. In „Schwarz auf Weiß“ liegen Berechnung und Zufall eng beieinander, werden nicht gewertet. So entsteht eine Aura des Momenthaften, die die Komposition frisch wirken lässt.
(Süddeutsche Zeitung 5. Juli 2006, Ralf Dombrowski )
Vielsinnliche Sphären
Festspiel + : Heiner Goebbels' brilliantes „Schwarz auf Weiß“
„La vérité“, vernimmt man zu Anfang bruchstückhaft im Gewirr der Instrumente. Und beginnt die Wahrheit in diesen bewegten Bildern zu suchen, in denen die Musik ein Mensch ist, der vertraute Klangspuren hinterlässt – und ein Geist, diese wiederum in Anonymität verwischt.
„Wenn ich nicht irre, so äußerte sich der seltsame Geist der Gestirne nicht nur im physischen Lauf der Erde, sondern in der Seele, der Vorstellungs- und Gedankenwelt der Menschen“, schreibt Edgar Ellen Poe 1850 in seiner Schauerparabel „Schatten“. 1996 greift der Komponist und Regisseur Heiner Goebbels diese Kurzgeschichte sowie Texte von Maurice Blanchot und Heiner Müller für das TAT Frankfurt auf und schafft, gemeinsam mit 18 Musikern des Ensemble Modern, eben dies: eine seltsame Sphäre für die Vorstellungs- und Gedankenwelt seines Publikums, ein vielstimmiges Musiker-Theater mit weit ins Vielsinnliche verschobenen Grenzen, „Schwarz auf Weiß“. So auch beim Gastspiel im Münchner Prinzregententheater (Festspiel+, musica viva).
Auf der Bühne: Hinterhof-Begegnungen, Musiker-Grüppchen, die sich finden und lösen, Bläser, Streicher, Terzette, Quintette, mal rasant, mal entzückt, zwischen tonal und atonal, befreundet und befremdlich. Anspielungen gibt es viele, ob auf barocke Menuette oder Eisler-Balladen, Madrigale oder Free-Jazz-Sessions. Und dann, in die Stille hinein, die aufgezeichnete Stimme Heiner Müllers. In ausdrucksstarker Monotonie liest sie aus „Schatten“, während sich um sie herum die passende Stimmung bildet, aus nackter, existenzieller Notwendigkeit und darin: Wahrheit, „la vérité“.
Das Ballspiel mit verstärkten Schlägern, das Kegelspiel mit Posaunendämpfern – alles wird zum rhythmischen Spuk. Manchmal sogar zum stummen Ritual, das über die Musikalität, seiner Theatralität staunt. Es herrscht ein atemberaubend geordnetes Chaos zwischen den dreißig schwarzen Bänken, das dem Zuschauer meist den Rücken und stattdessen einem Schattenspieltor mit Papiersegeln sein Gesicht zuwendet. Metaphorisch eng an Poes Text angelehnt, lässt der Schatten auch auf Goebbels' Bühne irgendwann seine Verhüllung fallen, die Segel sinken und das geisterhafte Gegenüber zeigt sich im eindrucksvollen Gegenlicht. Und wenn zum Finale eine Serienkurbel wehmütig die japanische Koto-Zither bespielt – wen wundert es, dass Goebbels da auch noch den Preis zum Welttheatertag 2006 erhält.
(Münchner Merkur 3. Juli 2006, Teresa Grenzmann )