Pressestimmen " ... Même Soir.– "
Musik die gut aussieht
Heiner Goebbels' „…Même soir –„ in der Muffathalle
Die Konzertreihe „Jazz & more“ muss den Münchner Jazzfreunden nicht weiter vorgestellt werden. Seit Jahren bietet sie in den Räumen der Kammerspiele qualitätsvolle Jazzkonzerte. Die Programmkonzeption bewegt sich dabei zwischen modernem europäischen Jazz und einer gemäßigten E-Musik-Avantgarde. Dreh- und Angelpunkt der Programme ist die Kunst der Improvisation. Nicht zufällig spielten dann auch improvisatorische Elemente bei der Komposition „…Même soir. –„ von Heiner Goebbels, die jetzt in der Muffathalle zur Uraufführung kam, eine zentrale Rolle. Den Kompositionsauftrag hatte die „musica viva“ des Bayerischen Rundfunks erteilt, der neue Partner von „Jazz & more“. Beide Konzertreihen hatten sich – angeregt durch ihren gemeinsamen Sponsor der BMW Kulturkommunikation, erstmals für das große Millenniums-Festival diesen Sommer zusammengetan. Zurück zur Uraufführung von Goebbels' „….Même soir. –„: Mit Jazz hatte die nichts zu tun. Dafür aber wie bereits gesagt mit Improvisation. Auch das ist eine Errungenschaft des Jazz, dass die ad-hoc-Komposition – damit ist nicht Aleatorik gemeint – Einzug gehalten hat in die Werkstatt des Komponisten von heute. Goebbels gibt seinen Musikern keine fertige partitur in die Hand, sondern Bausteine, Spielanregungen, Bühnenbilder, ja sogar eine Theaterbühne, auf der sie agieren können. In zahlreichen Proben hatten die sechs Mitglieder von „Les Percussions de Strasbourg“, denen über 400 Perkussionsinstrumente zur Verfügung stehen, genug Material zur Hand bekommen, das Stück zu gestalten. Dabei benutzten die Straßburger modernste Sampletechnik genauso wie die archaische Kunst des Schweizer Talerrollens. Goebbels verzichtete weitgehend auf dramatisch-szenische Entwicklung. Klaus Grünberg, zuständig für Bühne, Licht und Video, trifft die Sache, wenn er meint: „Wenn etwas gut aussieht, entsteht daraus Musik, und aus der Musik entsteht dann wieder ein bestimmtes Licht, eine bestimmte Farbe, ein Kostüm. Alle Einzelteile beeinflussen sich gegenseitig.“ Aus musikdidaktisch-nüchtern anmutenden Einzelaktionen formten „Les Percussions de Strasbourg“ in der Muffathalle dann tatsächlich auch ein oszillierendes Ganzes.
(Jazz Zeitung 11/2000 – Andreas Kolb)
Ein Gemeinschaftsprojekt der Reihen Jazz & more und musica viva wird am 28. September in der Muffathalle uraufgeführt: die Komposition von Heiner Goebbels „,,,même soir.“ – „am selben Abend“, ein szenisches Konzert für sechs Percussionisten. Musik, Theater, Bewegung, Aktion werden die Grundlage dieses Projektes bilden. Heiner Goebbels gilt als einer der herausragenden zeitgenössischen Komponisten der mittleren Generation. Seine Wurzeln liegen dabei durchaus in Pop und Jazz. Goebbels arbeitete u.a. mit Musikern wie Arto Lindsay. Don Cherry, Fred Frith, George Lewis, Ned Rothenberg, Yves Robert, peter Brötzmann und Alfred Harth zusammen. Interpret der musica-viva-Auftragskomposition wird das Ensemble Percussions de Strasbourg sein.
(Jazz Zeitung 9/2000)
Streicheln, nicht schlagen
„Les Percussions de Strasbourg“ spielen Werke von Heiner Goebbels
Heiner Goebbels gibt wahrhaft orakelnde Anweisungen für sein neues Schlagzeugstück: Die Perkussionisten sollen ihre Instrumente nutzen, „ohne sie im klassischen Sinne zu spielen“. Wenn Goebbels komponiert, dann schreibt er nicht einfach Noten auf ein Papier. Er entwickelt umfassende Konzepte mit dramaturgischen Leitfäden, szenischen Komponenten, Sprache. In „…Même soir. – Am selben Abend“, das in der Reihe musica viva in der Muffathalle uraufgeführt wird, ist er z.B. auf der Suche nach einer Performance, die sich „durch die Abwesenheit des Theatralischen“ auszeichnet. Mit dem Ensemble „Les Percussions de Strasbourg“ hat er dazu genau die richtigen Partner gefunden. Vor fast vierzig Jahren hat sich dieses Ensemble gegründet, um neue Musik für Schlagzeuge aufzuführen. Und das sechsköpfige Ensemble wurde schnell zum Motor für ein neues Kammermusikrepertoire: Iannis Xenakis, Maurice Ohana, Olivier Messiaen und unzählige andere schrieben Werke für diese Besetzung. Inzwischen aber hat die Gründergeneration die Schlagstöcke komplett an Jüngere übergeben. Und die wollen sich nicht mehr nur damit begnügen, neue Partituren zu bekommen und die dann zu spielen, sagt das deutsche Ensemblemitglied Olaf Zschoppe. Das Ensemble möchte neue Wege erkunden, indem es theatralische Elemente in seine Arbeit mit hineinnimmt. Und die Uraufführung von Heiner Goebbels „…Même soir“ ist für sei ein Schritt auf diesem Weg. „Der szenische Effekt ist im Schlagzeugensemble ohnehin viel mehr gegeben als bei anderen Instrumenten“, meint Zschoppe. „Und bei Goebbels zum Beispiel „nutzen“ wir die Becken, indem wir sie nicht einfach schlagen, sondern sie mit Stangen auf der Bühne zart herumschieben.“
(SZ extra 28.9.2000 – Miriam Stumpfe)
Das Geheimnis der leeren Trommel
Heiner Goebbels und sein Stück für sechs Schlagzeuger
Heiner Goebbels hatte in der letzten Woche ein besonderes Spielzeug: sechs exzellente Schlagzeuger, agierend auf einer grünen Bühne, die an einen Billardtisch erinnert. Mit dem Ensemble Les Percussions de Strasbourg zusammen hat er ein so genanntes szenisches Konzert entwickelt: „…même soir –„ (Am selben Abend). Und dabei stellte er sich und die Musiker vor eine Aufgabe, die am besten unter dem Aspekt des Spielens zu begreifen ist, nicht als Theaterspielen oder Vorspielen, sondern als ungezwungen-improvisierendes Hantieren mit wechselnden Situationen. Goebbels will szenische Aktionen schaffen, die keine andere Wirklichkeit behaupten wollen, sondern einfach die Realität musizierender Schlagzeuger fokussieren: „Das Stück kreist um ein geheimnisvolles, leeres Zentrum. Es gibt keinen Protagonisten, keinen Star, keine sprache. Ich versuche hier nur das, was man im Konzert eigentlich alles sehen könnte, zu präsentieren.“ Goebbels zeigt Schlagzeugspielen durchs szenische Brennglas, wobei die Musik immer Leitfaden bleibt, auch wenn die Bühne mit aufwändiger Lichtregie und Videoprojektionen ausgestattet ist. Der Komponist, Hörstück-Autor und Regisseur, der immer wieder auch durch den politischen Impetus seiner Arbeiten auf sich aufmerksam macht, möchte diesmal auf Botschaften verzichten und einfach Ohren und Augen sensibilisieren. Die Spannung zwischen Musiker und Instrument thematisiert Goebbels zum Beispiel, wenn sich große Trommeln wie von Geisterhand auf die Bühne schieben, die Schlagzeuger sich erst Ruten schlagend darauf zu bewegen und dann die Trommeln mit den Ruten von verschiedenen Seiten abtasten, Trommel-Geräusche erzeugend, ohne den typischen großen Schlag zu setzen. Schlagzeugspielen als Abenteuer. Dem entspricht, dass das gesamte Stück in einer Art Entdeckungsreise entstanden ist: Goebbels kam nicht mit fertigem Konzept zu Les Percussions de Strasbourg, sondern erarbeitete mit den sechs Schlagzeugern das Material durch Improvisation. Er ließ sich Instrumente vorführen, hörte zu, stellte die Musiker vor ungewohnte Situationen. Sein Ziel bei dieser Arbeitsweise formuliert er mit Brecht: Das Einfache zu finden, das so schwer zu machen ist. „Das Stück ist kein Schwergewicht, es hat ein kleineres Format“, so unterstreicht Goebbels seine Idee des Spielerisch-Einfachen. „Der Titel „Même soir“ deutet ja auch darauf hin: Um acht geht man eben zu diesem Konzert, aber am selben Abend kann auch noch etwas anderes passieren.“ Wer heute Abend noch nicht zu viel vor hat: Um 20 Uhr wird „Même soir“ in der Muffathalle uraufgeführt.
(Südd. Zeitung 28.9.2000 – Miriam Stumpfe)
Rätseltheater des Unsagbaren
Stückebastler zwischen Irrsinn und Höhenflug: Heiner Goebbels' neues Stück „Même soir“ in München uraufgeführt
Heiner Goebbels ist der große Fremde, der ewig Befremdende und sich selbst Fremde, unter den Musiktheatermachern. Ein Materialiensucher, ein Second-Hand-Verwerter, der stats die Überlebensmöglichkeiten sperriger Hochkultur in einer lustvollen Welt des Pop untersucht und sie oftmals beweist. Die Szene ist ihm Klang, der Text Raum, die Musik Geste, der Mensch entgrenzt. Verständlich, dass so einer keine Ironie kennt, keinen Humor, keinen Abstand zu sich selbst. Denn dann wäre Heiner Goebbels, der sic nie einlässt auf das Eine oder gar Offensichtliches, verloren auf ewig. Würde man ihn ein paar Stunden eine Sperrmüllsammelstelle überlassen, so wäre danach ein klingendes Kunstwerk zu bewundern. Denn Goebbels nimmt alles, was sich ihm in den Weg stellt, was ihn ärgert, was ihm das Leben vergiftet oder es ihm einfach nur (er)lebenswert macht. Aber mit einem einem fast schon protestantischen Misstrauen gegen das Ding an sich, setzt er Anderes, meist völlig Unpassendes, Kindisches, Lächerliches oder auch nur pathetisch Großes dazu. So wuchern seine Stücke aus dem Belanglosen heraus. Aber meist wird Goebbels von einem untrüglichem Instinkt für formale Schlüssigkeit und Klarheit daran gehindert, ins Unverbindliche oder Geschwätzige sich zu verlieren. Besonders die offenen Textfragmente und brüchig formulierten Zeitbefragungsspiele Heiner Müllers haben Heiner Goebbels immer wieder zu Meisterstücken verleitet. Text, schwankend zwischen alltäglichem Irrsinn und geistesgeschichtlichem Höhenflug, scheint für den auch als Hörspielmacher erfolgreichen Goebbels so etwas wie grundlegende Bedingung zum Stückebasteln. In seinem neuesten Werk jedoch, dem gerade in der Münchner Muffathalle uraufgeführten „..Même soir“ (Am selben Abend) verzichtet Goebbels auf den Einsatz eines nach allen Richtungen hin unabgegoltenen Text, an dem er sich reiben und elegant abreagieren könnte – auch wenn Literatur als verborgenens Programm dem Abend zu Grunde liegt. Statt dessen nimmt Goebbels als Ausgangsbasis das schon legendäre Schlagwerker-Sextett Les percussions de Strasbourg, und bastelt aus Können und Verspieltheiten dieser Meistermusiker eine Art deutschen Mittsommernachtstraum. Cli-cli-cli-cli klappern Kugeln gegeneinander. Regelmäßig wird ein eilender Grundimpuls etabliert, verbindlich fürs gesamte Stück, Ausgangs- wie Endpunkt. Goebbels gibt sich grundsätzlich, geht von unspektakulärer Einfachheit aus, die gestört, überlagert, zerstampft, zerrieben wird. Alles, was sechs Schlagzeuger, ohne je explizit Schlagzeug zu spielen, an Klang produzieren können, zieht in einem 50-minütigen Kaleidoskop an Hörer und Zuschauer vorbei. Das ist Etüde, Erprobung, Auslotung. Und immer warten wir auf den Kick, der die Studio sanft und unauffällig in jene bezaubernden Gefilde hinüber stupsen würde, wo nicht mehr die Mittel interessieren, sondern nur noch jenes imaginäre Innere, das von der Mache gemeint, aber stets verborgen wird. Nur Schlagzeug, das wäre für Goebbels zu wenig. Also lässt er sich von Klaus Grünberg eine knapp skizzierte Bühne arrangieren. Hinten drei Video-Projektions-Leinwände, vorne sechs waagrecht niedrig gehängte Neonröhren, dazwischen die Musiker, die abgezirkelt einherschreiten. Flimmern läuft über die Leinwände, New-Age-Klänge kommen aus den Lautsprechern. Da mischt sich ungebrochen eine psychedelische Ton-/Bild-Spur ins Geschehen, die zwar die Rätselhaftigkeit des Titels „Même soir“ mal zu lichten scheint, dann wieder verunklart, aber doch eher als Fremdkörper wirkt. Da nie in sich gebrochen, sonders stets ungeschminkt selbstsicher. Da mögen die Schlagzeuger Becken kreiseln lassen im Carré und die Metallscheiben mit langen Stöcken aus ihrer Lethargie erwecken, da mögen Kugeln in Schüsseln gerollt, da tönen aus einem Monochord verzerrte Zupftöne, werden Kochtöpfe zu Klimpern und Klappern gemacht, da raunzt ein Cymbal gekrächzte Tonklagen: Die Erzählung, die Goebbels so schamhaft in „Même soir“ zu verschweigen beabsichtigt, bleibt allzu unklar, kann kaum für sich einnehmen. Geschwätzigkeit der größte Feind eines solchen Rätseltheaters des Unsagbaren, schleicht sich ein, und damit macht sich Schulmeisterliches breit. Der Triumph der Etüde über die Kunst.
(Südd. Zeitung 30.9.2000 – Reinhard J. Brembeck)
Fesselnd von Anfang an
Heiner Goebbels: Uraufführung in der Muffathalle
In der Münchner Muffathalle wurde das jüngste Werk von Heiner Goebbels uraufgeführt. „…même soir/am selben Abend“, ein „szenisches Konzert für sechs Perkussionisten“. Am Kompositionsauftrag war die musica viva, also der BR, beteiligt. In der künstlerischen Haltung, im ästhetischen Ausdruck steht das kanpp einstündige Werk ganz auf der Linie, die der 48jährige Goebbels heute erreicht hat; insbesondere seine intensive Auseinandersetzung mit dem Hörspiel wird offenbar. Was sonst in seinem Leben zurückliegt, bleibt aber unberührt: Politik, gesellschaftliche Problematik, erst recht die Jazz-Vergangenheit. Das improvisatorische Element steht im Vordergrund dessen, was der Komponist und Regisseur – besser: Gestalter dieser Szenen – in anderthalb Jahren erdacht hat. Man wird sich dessen aber nicht bewusst, so diszipliniert läuft alles ab, Musik, Aktion, Vielfalt des Gebrauchs der Instrumente (nicht nur aus musikalischem Bereich), Erschließung des Bühnenraums. Erarbeitet wurde das in Gemeinschaft von Goebbels mit den sechs Musikern/Darstellern der „Percussions de Strasbourg“, ein work in progress (ohne zu Grunde liegende partitur) von fabelhafter Geschlossenheit: fesselnd vom zeitversetzten Einstieg der Akteure ins Geschehen bis zum skurrilen Abschluss, wenn zwei aneinander schlagende Metallkügelchen auf leerer Bühne hochgezogen werden. Die Perkussionsinstrumente sich unzählbar, ihre Anwendungen nahezu grenzenlos. Häufig werden nur Teiel herkömmlicher Instrumente einbezogen: Fußmaschinen, wie Monde am Horizont aufgereihte Trommelfelle. Das Auftauchen fixierter Tonhöhen erscheint – den Materialien entsprechend – zufällig. Einflüsse sind auf ferne Erinnerungen – minimal music, „Kraftwerk“ – beschränkt. Ein Hörerlebnis, das nur unzulänglich als „Geräuschmusik“ einzuordnen ist. Wesentlich waren beteiligt: Klaus Grünberg – Bühne, Licht; Willi Bopp und Yves Kaiser, Sound und Klangregie (Sampler); auch Stefan Kaegi mit der Projektion abstrakter und pflanzlicher Videos.
(Münchner Merkur 30.9.2000 – Karl Robert Brachtel)
Traumzeit
Heiner Goebbels perfekte Musik-Performance „…Même soir.“ in der Muffathalle
Ein lustvolles Farben- und Klangspiel für Augen und Ohren: Heiner Goebbels' „…Même soir.“, was soviel bedeutet wie „…am selben Abend.“ erfüllte eine Stunde lang als tönend visuelle Ästhetik-Performance die Münchner Muffathalle. Anregung für das Auftragswerk dewr musica viva des BR in Verbindung mit der Reihe Jazz & More war die Lektüre eines Buches, dessen respektvolle Rücksichtnahme und Diskretion der Erzählweise sich unmittelbar in dem „szenischen Konzert für sechs Perkussionisten“ widerspiegeln.
Ein Schlagzeugstück der sensitiven Stille, bei der das herkömmliche Instrumentarium durch eine Vielfalt artfremder Geräuscherzeuger ergänzt oder bisweilen auch ersetzt wird.
Die von einer ausgetüftelten Lichtfarbenregie begleiteten szenischen Aktionen führten Akustisches und Visuelles zu einer märchenhaft versponnenen Einheit zusammen, und „Les Percussions de Strasbourg“ geleiteten das Publikum der Uraufführung mit diskreter Perfektion durch einen Zaubergarten voller Sinnlichkeit und Träume, in dem die Zeit stillzustehen schien. In der verspielten Zartheit der Musik mit ihren Andeutungen und Ahnungen lag die Faszination dieses Abends, über den sich ein fein gesponnenes Gewebe duftiger Fantastereien legte.
(Abendzeitung 30.09.2000, Rüdiger Schwarz )
Sterne der Woche
Mitsuko Uchida (Klavier, Zubin Mehta (Dirigent) und den Münchner Philharmonikern – für die Interpretation von Beethovens 3. Klavierkonzert und Schostakowirschs 5. Sinfonie (Philharmonie);
Angie Stone – für ihr Soul-Konzert (Metropolis);
Rosel Zech und Ilse Neubauer – für ihre Rollen in Anne Mearas' „After-Play“ (Volkstheater);
Oliver Wehe und Lisa-Maree Cullum – für die Titelpartien in Crankos „Romeo und Julia“-Ballett (Nationaltheater);
Heiner Goebbels – für die Uraufführung seiner szenischen Komposition „…Même soir.“ (Muffathalle);
Chiharm Shiota – für ihre Schlafperformance „Breathing from Earth“ (Maximiliansforum).
(ebenfalls Abendzeitung 30.09.2000)
In München viel Neues
Zusammen mit Jazz & More und den Kammerspielen sowie einer schlagkräftigen Komposition von Heiner Goebbels eröffnet "musica viva" die Saison.
In vielen Köpfen spukt noch immer das Vorurteil von Neuer Musik als einer entsetzlich grauen und eintönigen Angelegenheit. Wer sich eines Besseren belehren lassen und sich anschließend trotzdem nicht belehrt fühlen will, sollte zur musica viva gehen.
Wenn die Konzerte dieser Reihe fast immer für volle Säle sorgen, und dies in einer vermeintlich so konservativen Stadt wie München, spricht das nicht nur für die Qualität der Musik, sondern auch für die kluge Zusammenstellung des Programms. Die neue Saison eröffnet am 28. September mit einem Projekt von Heiner Goebbels für das Schlagzeugensemble Les Percussions de Strasbourg, das von diesem auch – gemeinsam mit der musica viva – in Auftrag gegeben wurde: „…Même soir.“ / „…am selben Abend.“. Goebbels nennt sein Werk ein „szenisches Konzert für sechs Perkussionisten“.
Es wird in letzter Zeit viel Tinte vergossen über Barriere niederreißen, Grenzen überschreiten, Stile verschmelzen und so fort. Und fast immer lauert das Unwort „Crossover“. Heiner Goebbels tut in seiner Musik aber nun einmal genau dies, und vielleicht ist es sogar eine Form von Crossover. Seine Position zwischen allen Stühlen hat Anbiederung allerdings nicht nötig. Wie Kurt Weill bedient sich Goebbels der gesamten Palette der Musik der Gegenwart, auch der populären, und deren Interpretationsformen: Goebbels spielte lange Zeit als Musiker in Gruppen wie der Artrock-Formation Cassiber und dem Duo Goebbels/Hart – Formationen, die sich der herkömmlichen E/U-Kategorisierungen verweigern. Zudem bediente er viele diverse Genres, schrieb Hörstücke nach Texten von Heiner Müller ( Verkommenes Ufer ), Musiktheaterstücke ( Schwarz auf Weiß ), Orchesterwerke ( Surrogate Cities ) – und stets findet in diesen Kompositionen ein Dialog verschiedenster stilistischer Ebenen statt.
Auch bei „…Même soir.“ Handelt es sich, wie der Untertitel schon andeutet, keinesfalls um ein herkömmliches Instrumentalwerk: „… es wird – eher wie in einer Performance – darum gehen, Verrichtungen nachzugehen, die zwar eine sehr wohl dramatische Wirkung haben, sich aber durch die Abwesenheit des Theatralischen auszeichnen: viele Vorgänge also, die durch sich selbst bzw. durch die Konditionen „szenisch“ sind, nicht durch die Behauptung „es würde gespielt“; es gilt beides: ruhige, eher meditative Szenen, und aktionistische, mit viel Bewegung“ – so der Komponist.
Les Percussions de Strasbourg, die das Werk in Auftrag gaben, sind das prominenteste Schlagzeugensemble. Seit ihrer Gründung 1962 hoben sie unzählige Werke von Komponisten wie Xenakis, Cage und Stockhausen aus der Taufe. Der „Wunsch, Gewohnheiten abzuschütteln, das Verlangen nach einem gewissen Risiko“ führte zu einer Zusammenarbeit mit Heiner Goebbels. Das Konzert in der Muffathalle in Zusammenarbeit mit Jazz & More wird zeigen, ob sich das Risiko gelohnt hat. Eines wird es nicht sein: langweilig!
(Applaus 9/2000, Thomas Schulz )