Dieter Schnebel zu "Ekstasis"
"Ekstasis" ist ein Stück philosophischer Musik - ein musikphilosophischer Traktat eben zum [über das] Thema Ekstase. Die einzelnen Teile - man könnte sie auch Kapitel oder Paragraphen nennen - beleuchten verschiedene Aspekte, auch verschiedene Arten von Ekstase.
Die 16 Teile heißen:
1 Metropolis I
2 Beschwörung
3
Trance
4 Metropolis II
5 Trunken [Dionysos]
6 Geheimnisse
7 Metropolis III
8 Unio mystica
9 Metropolis IV
10 Spiele
11 Angst [Lust]
12 Metropolis V
13 Todes-Ekstase
14 Prozession
15 Metropolis VI
16 Gratia
Eine übergeordnete Gliederung bilden die sechs [sieben] Metropolisteile. Metropolen sind in gewisser Weise Grundformen kollektiver Ekstasen, angefangen mit dem Urbild Babylon [endend mit der Vision des himmlischen Jerusalem]. Diese Teile werden akustisch-optisch von einem Läufer dem Marathonläufer - durchzogen, dargestellt [abgebildet] von einem Schlagzeuger, der auf der Stelle tritt; wiederum als Urbild einsamer, ja tödlicher Ekstasen.
Die erotische Ekstase, Grundform jeglichen Außer-sich- [oder In-sich-] Seins hat kein eigenes Kapitel, kommt indes immer wieder quasi anonym aus den Stimmen der Musik hervor. Im übrigen stimulieren gesprochene oder projizierte Texte [Geschichten, Sprüche, auch Theorie] verbales, gar rein philosophisches Denken und bilden quasi ein motivisches Netz.
Philosophische Musik - das heißt Musik mit Denken, Denken mit Musik - auch Denken in Musik. Nun ist eine gewisse Art konstruktiver Musik - man denke an Bach'sche Fugen oder an klassische Streichquartette selbst schon Denken, bzw. Philosophie, freilich ohne Worte. "Ekstasis" neigt nur bedingt und keineswegs durchgehend zu solcher Art, geschieht eher als Denken in Klängen, auch in Rhythmen - und in klangzeitlichem Abbilden ekstatischer Prozesse. Solches geschieht eben manchmal abstrakt quasi in absoluter Musik, nämlich in rhythmischer, tonhafter und/oder klanglicher Serialität, aber auch oft in drastischer musique concrete und in manchen möglichen Zwischenstufen zwischen Nominalismus und Realismus.
Die die Musik gedanklich begleitenden Texte werden gesprochen, sollten aber auch teilweise über Schriftband oder Diaprojektion optisch erscheinen, also übers Auge aufgenommen werden zum Gedanken Lesen. Eine alte Idee von mir aus den 6oer Jahren:"Ki-No", Nachtmusik für Projektoren und Hörer und danach/daraus "MO-NO", Musik zum Lesen. Dieses Buch enthält vielerlei Noten, normale bis "fantastische", und Texte: Beschreibung von Klängen, Beschreibung von musikalischen Prozessen, oder Hörhilfen. Also Lesevorgänge als [mit] Musik. In "Ekstasis" ist solche Idee abgewandelt. Es gibt nämlich eine alte Crux: wenn Sprache mit Musik verbunden ist, achtet man entweder auf die erstere - Hören von Sprache, das anders geartet ist als das von Musik- und dann leidet die Musik, oder man folgt der Musik, dann wird die Sprache beiläufig. Ein Mittelweg geteilter Aufmerksamkeit: Lesen mit Musik; Musik beim Lesen, durchs Lesen - ein eigenes Vergnügen.