Wrong (aus: Irrenoffensive)
SCHAUKELN - ESSEN - SAFT
Texte: Helmut Oehring/Birger Sellin
Wolltest Du mir nicht etwas sagen? Wolltest Du mir nicht etwas erzählen? Ich weiß gar nicht mehr, was ich Dir erzählen wollte. Ich kann es Ihnen leider nicht sagen. Ich weiß es wirklich nicht. Irren ist menschlich. Du irrst Dich, das habe ich nicht gesagt. Die Angelegenheit wurde damals in der ganzen Stadt besprochen. Es ist sehr schade, daß Leute in guten Ver¬hältnissen keine Kinder haben. Die pekuniären Sorgen sind die schlimmsten Sorgen. Wovon erzählst Du? Darf ich zuhören? Ich kann leider sehr schlecht erzählen. Bitte sagen Sie mir Ihren Namen noch einmal, ich habe ihn bei der Vorstellung nicht deutlich verstanden. Es handelt sich um eine schwere Krankheit, der Herr Doktor möchte sofort kommen. Die Ähnlichkeit ist sehr groß. Die Fotografie ist gar nicht ähnlich, ich habe Sie nicht darauf erkannt. Das Bild ist sehr ähnlich. Ich hätte ihm eine solche Handlungsweise nicht zugetraut. Die Handlungsweise sieht ihm sehr ähnlich. Gefällt Ihnen die Handarbeit? Sie hat eine sehr anstrengende, aber interessante Tätigkeit. Sie arbeitet in einem Laboratorium. Haben Sie Kla¬vierunterricht im Konservatorium? Ist Ihre Schwester lange im Sanatorium gewesen? Was ist die Ursache der Verzögerung? Pünktlichkeit ist eine Höflichkeit der Könige. Es ist merkwürdig, wie schnell man sich etwas angewöhnen kann und wie schwer es ist, sich etwas wieder abzugewöhnen. Haben Sie schon die Genehmigung der Behörde für die Ausführung Ihrer Erfindung bekommen? Haben Sie schon von der Erfindung gehört? Du hast ein scharfes Urteil. Du hast eine sehr spitze Zunge. Du bist parteiisch. Ich bin ganz heiser vom vielen Sprechen. Warum kommst du so selten? Er hat sich schnell über den Verlust seiner Frau getröstet, zuerst war er ganz verzweifelt. Das Kind zittert aus Angst vor dem Arzt. Hans zittert vor Anstrengung. Er ist verzweifelt. Er kam ganz verzweifelt zu mir. Er zweifelt, ob er sein Ziel erreicht. Verraten Sie nicht mein Geheimnis. Er malt ein Bild. Wann haben Sie Sitzung? Was malst Du augenblicklich? Ob er das Gedicht heute abend dekla¬mieren will? Er geht fort. Er geht an den Teich, um zu rudern. Ob er singt? Ob er sang? Ob er Musikstunden nimmt? Was nahm er fort? Was warf er fort? Er nahm den Stein. Das Stück ist realistisch. Der Zweck heiligt die Mittel. Das Mittel, was Sie mir gegeben haben, hat sehr gut geholfen. Sie dürfen das Mittel nicht zu oft nehmen, sonst gewöhnt sich der Körper daran und es hilft nicht mehr. Regnet es eigentlich? Sie sehen sehr wohl aus. Sie ist in einer Privatklinik operiert worden. Wo ist die Ohrenklinik? Wo ist das Krankenhaus? Wo ist die Augenklinik? Ich habe ein Luftkissen für die Reise gekauft.
(Helmut Oehring)
Ich dichte jetzt ein lied über die freude am sprechen
ein lied für stumme autisten zu singen in anstalten und
irrenhäusern
nägel in astgabeln sind die instrumente
ich singe aus der tiefe der hölle und rufe
alle stummen dieser weit
erklärt den gesang zu eurem lied
taut die eisigen mauern auf
und wehrt euch ausgestoßen zu werden
wir wollen eine neue generation der stummen sein
eine schar mit gesängen und neuen liedern
wie es die redenden noch nicht vernommen haben
unter allen dichtem fand ich keinen stummen
so wollen wir die ersten sein
und unüberhörbar ist unser gesang
ich dichte für meine stummen Schwestern
für meine stummen brüder
uns soll man hören und einen platz geben wo wir unter
euch allen wohnen dürfen
in einem leben dieser gesellschaft
Birger Sellin am 21.9.1992
ich will kein inmich mehr sein
botschaften aus einem autistischen kerker
Gäbe es einen Grund zu der Annahme, Musik könne etwas bewirken, wären wir mit der Zentralstelle für Klangana¬lyse konfrontiert.
Mit Bestürzung reagierte der Musikschaffende, würde er erfahren, welche Akzeptanz sein Schaffen außerhalb des wohlbehüteten Kreislaufes der Subventionskultur hat. Gleich dem Freitod einer Grasmücke erscheint auch die Be¬deutung seiner Reaktion. Bei den Psychoanalytikern fände sich kein freies Sofa, doch zum Glück interessiert nicht je¬den alles.
Die Inanspruchnahme der lächerlichen Abgaben des Knochenmehlkonzerns ERSTE WELT an seine Mitarbeiter, Mit¬läufer und Mitbürger macht zwar mitschuldig, schafft aber auch Gemeinsamkeiten, die uns Ohnmächtigen wie den Mächtigen wichtig sind. Sie gewährt uns zugleich Anonymität und Hoffnung und Distanz zu den Rohstoffen des Konzerns. Die Inanspruchnahme führt zu genannter Mittäterschaft, also Ergebenheit. Eine Garantie. Aus der Abfindung mit den speziellen Folgen eines Daseins in gut gepolsterten Schubladen resultiert nicht nur Ver¬drängung: Wohlklang kommt aus einer Zeit, in der noch nicht so effektiv gemordet wurde wie heute. Der Neuen Musik passiert es, daß sie auf Veränderungen zeigt. Damit könnte die Verstörung, sich ausdrückend in Klangkatastrophen, Grund genug sein, die Gefangenschaft zu begrüßen. Immerhin wird gezeigt, entwickelt und verärgert.
Was soll/kann/mehr welche Kunst. Ja, wir drehen uns im Kreise. Letztlich ist es so wie immer. Jeder kann selbst wis¬sen, was etwas bedeutet oder auch nur bedeuten soll. Und wenn nicht, muß eben alles Unverständliche Kunst bleiben. Oehring läßt in Wrong (aus: Irrenoffensive) wieder alles von vorn beginnen. Verständigung ist nicht gege¬ben. Sie muß erlernt werden. Dann fangen Taubstumme an zu sprechen. Hörende/Musiker versuchen sich mit Ge¬bärdensprache (verständlich zu machen).
Die Partitur wird zum Lageplan eines nicht zu bergenden Schatzes. Koordinaten fehlen. Der Komponist nickt. Ich hörte vor kurzem von einer ganzen Bewegung namens Irrenoffensive, in Berlin ins Leben gerufen. Mit erscheint Stillstand als Gegensatz zu einer Bewegung in unserer Zeit noch als der größere Fortschritt, doch ist Irrenoffensive zweifellos ein adäquater Begriff zur Inanspruchnahme unserer Berechtigung zu sein (Sein).
(M. Elosha)
(Frau Prof. Dr. M. Elosha, Israel, lehrt an den Universitäten von Chicago und Toronto Humanwissenschaften und hat Bücher wie Der Weg nach draußen, Die Scheinheiligkeit der Fabrik Michael Jackson und Varese-Woodstock-Cage oder Isolierte Kreaturen veröffentlicht.)
„Gags, ich bin mir vollkommen klar darüber,
daß wir nur von Gags leben.
Die ganze Welt ist ein großer Gag.
Kriege, Napalmbomben, brennende Menschen
im Fernsehen. Alles ein großer Gag.
Das machen wir auch."
(Jimi Hendrix)